BERGISCH GLADBACH – Im Rheinisch-Bergischen Kreis wird am 20. November ein neuer Landrat gewählt. Die landespolitische Bedeutung der Wahl ist annähernd null, die bundespolitische Bedeutung gleich null oder unter null. Und dennoch bejubelt „pro NRW“ beinahe jede eigene Plakatierungs- und Verteilaktion und zetert aktuell, weil die Kandidaten der demokratischen Parteien partout die extrem rechte, angebliche „Bürgerbewegung“ nicht als demokratisch-seriös adeln wollen. Die Propagandamaschine der Partei läuft auf Hochtouren, als ginge es bei dieser Wahl um alles.
Tatsächlich wird es für die Rechtspopulisten nur darum gehen, ob sie zwei, vier oder sechs Prozent der Stimmen holen. Zwei Prozent wären ein Desaster, vier Prozent eine Stagnation, verglichen mit der Landratswahl des Jahres 2009. Sechs Prozent oder mehr würden – davon darf man ausgehen, wenn man die Standard-Tonlagen und -Floskeln der „pro NRW“-Oberen kennt – als fulminanter Erfolg der Partei gefeiert werden.
„Marktführer“
Vier Ziele verfolgt die Truppe von Parteichef Markus Beisicht mit dem Wahlantritt vor allem. Auf Landesebene soll der – im Rheinisch-Bergischen Kreis nicht antretenden – Konkurrenz der anderen Rechtsaußen-Parteien von den renitenten NRW-„Republikanern“ bis zur NPD demonstriert werden, dass „pro NRW“ im einwohnerstärksten Bundesland „Marktführer“ in diesem Segment des Parteienspektrums ist. Ähnliches gilt auf Bundesebene. Dem REP-Vorsitzenden Rolf Schlierer und seinem Vize Johann Gärtner will „pro NRW“ – zweitens – signalisieren, dass die selbst ernannte „Bürgerbewegung“ das Erfolg versprechende Parteienmodell im nicht-neonazistischen Bereich der extremen Rechten darstellt. Selbst dem „pro Deutschland“-Chef Manfred Rouhs im fernen Berlin soll nach seinem Scheitern bei der Abgeordnetenhauswahl demonstriert werden, wie erfolgreich Wahlkampf zu führen ist – allen Ernstes verglichen jedenfalls einige Anhänger der Rechtspopulisten aus NRW die Wahl im Rheinisch-Bergischen mit der in der Hauptstadt.
Offene Rechnung
Ganz grundsätzlich müssen – drittens – populistische Gruppen ein gewisses Maß an Dynamik und Aktivismus beweisen. Das Fußvolk braucht Bewegung und Beschäftigung, die Parteispitze „Erfolge“ – und seien sie noch so irrelevant. Die immergleichen Demonstrationen reichen nicht aus. Eine Neuwahl in einem überschaubaren Gebiet und in einem ansonsten wahlkampflosen Jahr kommt da gerade recht. Im kommenden Jahr bei einer Neuwahl des Duisburger Oberbürgermeisters dürfte es ähnlich sein.
Und viertens gilt es für die Beisicht-Truppe, eine offene Rechnung zu begleichen. Dass sein früherer Stellvertreter Ronald Micklich, Kreistagsmitglied im RBK und Stadtrat in Leichlingen, seinen Mitgliedsausweis mit wenig freundlichen Empfehlungen zurückgegeben hatte und auch aktuell nichts Erbauliches über die selbst ernannte „Bürgerbewegung“ zu sagen weiß, konnten und können manche ihrer Funktionäre nicht verwinden. Ihm persönlich soll gezeigt werden, dass es auch ohne sein Zutun im Rheinisch-Bergischen Kreis mit „pro NRW“ vorangeht.
Unterstützung aus der Nachbarschaft
Mitglieder aus den Nachbarstädten und -kreisen rücken im Rheinisch-Bergischen Kreis an, um die dortigen, personell eher dünn aufgestellten Kräfte beim Plakatekleben und Flyerverteilen zu unterstützen. Parteichef Beisicht persönlich schultert die Tasche und stopft samstags Werbematerial in die Briefkästen.
„Ein eigenes Wahlflugblatt mit einer Erstauflage von 50.000 Exemplaren, eine flächendeckende Plakatierung mit mehreren tausend Plakaten, eine Postwurfsendung für ausgewählte Städte, eine Infostandserie durch alle Städte des Kreises, mehrmalige Wahlanschreiben an fast 1000 Interessenten-Haushalte im Kreis, mehrwöchiger Einsatz eines PRO-NRW-Lautsprecherfahrzeuges in der Schlussphase“: In einem vor einer Woche an potenzielle „pro NRW“-Unterstützer verschickten Schreiben listete Schatzmeisterin Judith Wolter auf, was sich die „Bürgerbewegung“ für den Wahlkampf vorgenommen hat. Auch wenn man an der einen oder anderen Zahlenangabe Zweifel anmelden könnte angesichts des „pro NRW“-typischen Hangs zur Übertreibung: Der Aufwand, den die „Bürgerbewegung“ bei dieser für sie völlig aussichtslosen Wahl betreibt, ist beachtlich.
Spendenbrief
Das Ganze kostet selbstredend. „Wir gehen von einem Wahlkampfbudget von 10.000 Euro aus“, heißt es in Wolters Schreiben an die potenziellen Unterstützer, dem auch gleich ein Überweisungsvordruck beigefügt ist. Aber so oder so wird das Budget Grenzen haben. Und weil das so ist, wird auch recycelt. An manchen Laternenpfählen hängen Plakate, die für den Landtagswahlkampf des vorigen Jahres gedruckt worden sind. Lokalpolitische Aussagen? Fehlanzeige.
Der Wahlkampf im Rheinisch-Bergischen Kreis sei ein „Musterwahlkampf für ganz Nordrhein-Westfalen“, schreibt Wolter. Sollte sie damit meinen, die Kampagne im Rheinisch-Bergischen Kreis könne als Vorlage für landesweite Wahlkämpfe dienen, so ist auch das eine Übertreibung. Würde landesweit gewählt, könnte „pro NRW“ finanzielle und personelle Ressourcen nicht wie im aktuellen Fall auf einen Landkreis konzentrieren. Dem Mitglied in Ostwestfalen wäre wohl kaum zu vermitteln, warum er für den Wahlkampf im anderen Eck des Landes spenden sollte, dem Mitglied in Köln-Chorweiler nicht, warum er in Overath plakatieren soll und nicht in der Straße vor seiner Haustür.
Qualifikationen
„Kompetenz statt Parteibuch“: Unter diesem Motto lächelt „pro NRW“-Landratskandidat Christoph Heger bereits von den Plakaten auf Passanten und Autofahrer herab. Heger setze sich „wohltuend positiv von seinen Gegenkandidaten ab. Als fünffacher verwitweter Familienvater, promovierter Physiker und langjähriger Datenschutzbeauftragter des TÜV Rheinland Group bringt er viele Erfahrungswerte mit, die ihn für die Aufgaben des Landrats sehr geeignet machen“, schreibt Wolter in ihrem Brief, ohne freilich zu erläutern, warum gerade diese Erfahrungen und Qualifikationen ihn für den Chefstuhl im Kreishaus prädestinieren.
Plattitüdenproduktion
Detaillierte Aussagen zu irgendeinem aktuellen Problem des Rheinisch-Bergischen Kreises finden sich auf einer eigens für den Kandidaten eingerichteten Internetseite nicht. Statt dessen gibt es eine Sammlung rechtspopulistischer Plattitüden und im Detail nicht erläuterter Allerweltsfloskeln, mit denen für Heger geworben wird. Wolter führt sie in ihrem Schreiben an die potenziellen Spender noch einmal auf: „Ehrlichkeit statt Political Correctness, Bürgernähe statt Bürokratismus, Sicherheit durch Recht und Ordnung, konsequente Asyl- und Integrationspolitik, Schluss mit der Gebührenabzocke, Mitbestimmung bei den Ausgaben, Förderung von Familien, Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität, Förderung des Ehrenamtes“. Auch ansonsten schafft es Wolter in ihrem zweiseitigen Schreiben, manches aus der Leverkusen/Kölner Floskelproduktion unterzubringen: vom Vorwurf des „korrupten Postengeschachers“ der Altparteien bis hin zur Klage über die „meisten Politiker der Altparteien“, die doch Kommunalpolitik „vor allem zur Lösung der eigenen sozialen Frage“ betreiben würden – ein Vorwurf, der aus dem Munde der „pro NRW“-Schatzmeisterin ein wenig apart klingt.*
Imagekorrektur
Wichtiger als alle inhaltlichen Fragen: Heger, der von den Plakaten freundlich dreinblickende ältere Herr, den man sich eher zwischen schweren Buchwänden mit katholischer Literatur vorstellen kann, soll die Bürgerbewegung salonfähig machen. Der Mann mit dem Freundlicher-Opa-Image soll vergessen machen, wer hinter der selbst ernannten „Bürgerbewegung“ sonst so steckt, ob es der Parteichef mit jahrzehntelangem biographischen Vorlauf in extrem rechten Gruppierungen ist oder dessen Stichwortgeber Andreas Molau, der offiziell mit Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit betraute vormalige NPD-Funktionär, der – keine drei Jahre ist es her – beim Sprung auf den Chefsessel seiner damaligen Partei scheiterte.
„Demokratische Lauterkeit“
Immerhin: Die Landratskandidaten der demokratischen Parteien sind dieser „pro NRW“-Strategie nicht auf den Leim gegangen. Die Teilnahme an einer in dieser Woche geplanten Diskussionsrunde, zu der auch Heger eingeladen war, sagten sie ab. „Gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit seinen vier Mitbewerbern“ werde ihr Kandidat Christoph Heger an der Diskussion in Burscheid teilnehmen, hatte „pro NRW“ getönt. Die Einladung Hegers sei ein klares Zeichen für die „demokratische Lauterkeit des Kandidaten“ und ein Beweis dafür, dass die „Bürgerbewegung“ auf eine „zunehmende Verankerung und Akzeptanz“ im Rheinisch-Bergischen Kreis bauen könne.
Diskussion abgesagt
Die Diskussion sollte einer der Coups von „pro NRW“ im Landratswahlkampf im Rheinisch-Bergischen Kreis werden. Noch dazu kostenlos – was angesichts der Kassenlage nicht ganz unwichtig ist –, aber dafür mit medialer Begleitung. Doch die anderen Kandidaten spielten nicht mit. „Pro NRW hatte im Vorfeld kommuniziert, dass die anderen Parteien die Organisation wegen ihrer Teilnahme an der Diskussionsrunde anerkennen würde. Das ist eine Fehlinterpretation, die wir so nicht stehen lassen können“, begründete CDU-Kandidat Hermann-Josef Tebroke gegenüber der Westdeutschen Zeitung seine Absage. Und SPD-Bewerber Gerhard Zorn ließ wissen: „Pro NRW gehört nach meiner Auffassung zu den Organisationen, die anderen Menschen mit Verachtung begegnen.“ Er werde nicht an einer Veranstaltung teilnehmen, „in der ein Vertreter dieser Organisation Gelegenheit bekommt, seine Politik öffentlich weiter bekannt zu machen“. Und die Westdeutsche Zeitung kommentierte nach der Absage der Diskussionsveranstaltung: „Niemand ist verpflichtet, Demagogen dadurch zu adeln, dass er sie zu gleichbedeutenden Gesprächspartnern aufwertet.“ (ts/rr)
* https://nrwrex.wordpress.com/2011/04/07/klev-verdientes-parteimitglied/
November 20th, 2011 → 20:35
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